Donnerstag, 12. September 2013

Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.


Die meisten Menschen in unserem Kulturkreis haben diese Worte des Vaterunser selbst gesprochen. Aber sind wir uns der Konsequenz dieser Aussage wirklich bewusst?
Klar, ich kann dem Partner vergeben, wenn er zum hundertsten Mal vergisst, die Kaffeemaschine auszuschalten. Bei einem Seitensprung wird es schon schwerer, das kann sicher nicht jeder verzeihen.
Aber wenn jemand mein Kind umbringt! Das soll ich verzeihen? Wer kann sowas? Geht das überhaupt?
Ich erzähle heute von einem besonderen Treffen in einem Gemeindesaal: das Thema war verzeihen und vergeben. Ich erzähle von einem Elternpaar, die es so überzeugend geschafft haben, tiefe Bewunderung habe für sie.
Es waren die Eltern des elfjährigen Mirco aus Grefraht, der 2010 ein halbes Jahr verschwunden war, bevor man ihn tot auffand, dieses Verbrechen hielt Deutschland ein halbes Jahr in Atem, bis man den Fall endlich aufklären konnte. 
https://de.wikipedia.org/wiki/Fall_Mirco
Mircos Mutter hielt einen längeren und ergreifenden Vortrag. Sie erzählte von ihrer Familie, von ihrem Verhältnis zu Gott. Vor mir entstand das Bild einer ganz normalen Familie, wie es sie überall gibt. Und man hat sich im Leben eingerichtet, das Leben geht seinen gewohnten Gang. Jeden von uns hätte dieses Schicksal genau so treffen können.
Freitagsabend kommt der Sohn nicht nach Hause, klar, erst sucht man alles ab, jeden Ecke, dann Anruf bei Freunden: Sie er vielleicht bei euch?

Ich kann mir vorstellen, dass der Stresspegel langsam immer weiter ansteigt, aber noch keine Panik, es wird schon alles gut werden, beten, Gott wirds schon richten.
Als dann die Eltern Mirco auch nicht im Krankenhaus zu finden konnten, gab es nur die einzige, richtige Entscheidung: zur Polizei zugehen. Sicher ein schwerer Weg: man muss sich doch nun eingestehen, das ein Verbrechen immer wahrscheinlicher ist. Eine lange Zeit des Bangens und Hoffens fängt an. 

Ich würde dann denken: Na gut, vielleicht will jemand Lösegeld erpressen und bald wird alles gut. Ich würde den Tod meines Kindes ganz weit von mir weghalten; die Hoffnung stirbt zuletzt. 
Warum lässt Gott das zu? Wir können doch mit unserem begrenzten Verstand manchmal noch nicht einmal unser Leben in den Griff kriegen, wie wollen wir da kosmische Dimensionen verstehen? Das brauchen wir auch nicht, dafür gibt es Gott!
Wir sollen aufhören, Gott für alles verantwortlich zu machen, was an schlimmen Dingen auf der Welt passiert. Es sind immer die Menschen, die anderen Menschen unsägliches Leid zufügen; Gott führt keine Kriege, um Ungläubige zu töten, Gott baut keine Atombomben. Gott ist die reine Liebe. 

Es ist doch schon merkwürdig, wie wir uns oft verhalten: Geht es uns gut, wir erfahren Gutes dann ist es selbstverständlich, läuft etwas schief, dann machen wir Gott dafür verantwortlich.
Ein Mensch, der solch existentiellen Krisensituation durchlebt, der zerbricht daran oder er wird daran reifen, unweigerlich wird sich der Mensch verändern.
Was würde es bringen, sein Leben mit Hass und mit Rachegedanken zu verbringen? Hass ist eine schlechte Lebensenergie, sie macht den Menschen krank und frisst die Seele auf, bis nur noch Hass übrig bleibt. Somit scheint es doch logisch, dem Mörder zu verzeihen, aber das ist so leicht gesagt, das Tun ist sicher sehr schwer, aber es gibt keinen anderen Weg, um in Frieden weiter zu leben.

Ich habe tiefe Bewunderung für diese Eltern und aus ihren Erzählungen weiß ich, dass sie Dinge geschafft haben, an die sie sonst im Leben nie gedacht hätten, dass sie über sich hinaus gewachsen sind durch dieses Drama. 
Auf Grund der Ausführungen von Mircos Eltern habe ich keinen Zweifel, dass es ihnen wirklich gelungen ist, dem Mörder zu vergeben; sie würden sogar diesen Menschen im Gefängnis besuchen.

Mir fällt da der verstorbene Papst Johannes Paul der Zweite ein, als er zu seinem Attentäter ins Gefängnis gegangen ist und sich mit ihm ausgesöhnt hat. Das war wahre Größe! Das rechne ich dem Papst hoch an, obwohl ich andere Dinge von ihm kritisch sehe.

Die Eltern von Mirco stelle ich mit ihrem Tun auf die gleiche Stufe: Ein leuchtendes Beispiel, was Liebe und der Glauben an das Gute in uns bewirken kann, wenn wir es nur zulassen. Gott hat immer eine Lösung, wir müssen sie nur zulassen.

Ich hoffe nie, dass ich in eine ähnliche Situation kommen werde, ich weiß auch nicht, wie ich mich dann verhalten werde. Ich habe jedenfalls größten Respekt vor der Entscheidung von Mircos Eltern.
Mit ihnen stehe ich auf dem Standpunkt: Wenn man selber am einem Mörder Hand anlegt und ihn richtet, dann stellt man sich auf die gleiche Stufe mit ihm. 
Aus diesem Grunde bin ich gegen die Todesstrafe: Ein kurzer Moment und alles ist vorbei das ist zu leicht, wer lebenslang und mit anschließender Sicherungsverwahrung weggesperrt wird, der hat lange Zeit über seine Tat nachzudenken, sehr lange. Und vielleicht, ja vielleicht kann der Täter seine Tat bereuen, begreifen, was er getan hat, was er der Familie und den Verwandten des Kindes angetan hat. Und was hat er seiner eigenen Familie angetan, die ja völlig ahnungslos war?


Sicher hat mich der Vortrag auch darum angesprochen, weil es einige Parallelen in meinem Leben, gibt, die wieder in mir wach geworden sind:
Es war Nikolaustag, als unser behinderter Sohn aus der Schule verschwunden war: Plötzlich stand die Polizei vor der Tür, ob unser Sohn vielleicht hier wäre. Wir wussten zu dem Zeitpunkt von nichts! Ein Anruf bei der Schule brachte Klarheit: Sven war seit zwei Stunden verschwunden! Man suchte grade die Schule vom Keller bis zum Dachboden ab. Unser Sohn war dafür bekannt, gerne mal durch die Schule zu laufen, kleine Späßchen zu machen und sich zu verstecken, aber das Gelände hatte er aber nie verlassen. 
Es war ein strahlend schöner, eiskalter Wintertag, aber was wäre, wenn man ihn nicht fände? Und er sich verliefe und bei der Kälte erfriert? Tausende Gedanken gingen uns durch den Kopf.
Die Polizei hat grade einen Hubschrauber angefordert, man würde ihn schon finden, ließ man uns wissen. Zu gerne hätten wir das geglaubt. 
Manchmal hilft nur beten: Und das Beten hat geholfen: Die Schule rief kurz danach an: Sein Zivildienstleistender, der Sven sehr gut kannte, suchte noch einmal den Keller ab, obwohl alles bereits abgesucht war und fand Sven in einem Schrank, dort schlief er tief und fest. 
Seitdem hat der Nikolaustag eine ganz andere Bedeutung für uns: Nicht ist selbstverständlich, wir können nur hoffen, das alles so abläuft, wie wir uns es wünschen, wenn nicht gibt es immer noch Gott, der hat immer eine Lösung, früher oder später. Ja, diese Gedanke gingen mir während des Vortrages durch den Kopf.


Mircos Mutter erzählte von einem Gedanken, den sie hatte, als Gott ihr offenbarte, das ihr Kind sie verlassen muss.
Nachdem meine Frau die Diagnose Krebs bekommen hatte,  bekam auch eine Offenbarung: 
Du kommst aus der Sache ohne körperlichen Schaden raus!
Der Gedanke stand einfach so vor mir, ohne dass ich über die Situation nachgedacht habe: Beim Radfahren. Ich nenne das den ersten, den göttlichen Gedanken, es war so klar und deutlich. Selten greift Gott zu solchen Mitteln, man sollte diese göttlichen Gedanken so aufnehmen, wie sie gekommen sind und sie sofort fest im Gehirn verankern, noch bevor der Verstand anfängt, daran zu interpretieren.
Auf die Frage: Was ist mit meiner Frau? Bekam ich keine Antwort... 
Alles wird gut. Wann und wie, das wird Gott schon richten. Hätte ich nicht den Glauben an mich und Gottes und lieber Menschen Hilfe gehabt, ich wäre nicht so gut mit meiner Situation fertig geworden. 

Noch ein paar Gedanken von mir über Gott:
Für mich ist er nicht der alte, weise Mann im Himmel, der akribisch alles notiert, was wir hier auf der Welt an Gutem und Schlechten treiben und uns dann am Ende richtet.
Gott ist viel mehr, mehr als wir uns je vorstellen können. Das gesamte Universum ist Gott, vom kleinsten subatomaren Teilchen bis zum gesamten Kosmos. Folglich ist Gott auch in mir und wirkt durch mich.
Wie jeder andre vor mir oder nach mir, werde ich mit dem Versuch scheitern, eine Erklärung oder gar eine Lösung zu finden, was Gott ist. Was unfassbar ist, wird unfassbar bleiben. Jeder sollte daran glauben, was für ihn gut und richtig ist, keiner hat das Recht zu sagen: Ich habe die Lösung, wir werden immer auf der Suche sein. Wichtig finde ich es, Liebe im Herzen zu haben und ein gutes Gefühl in dem, was man tun. Den Rest macht Gott.

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